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Wie ChatGPT am Menschen scheitert

Wie ChatGPT am Menschen scheitert

... und warum ich Mandalas zur Beruhigung brauchte. Ich habe es versucht. Wirklich. Ich habe es mehr als versucht. Ich habe diesem System geduldig erklärt, was ich brauche, was ich meine, was ich nicht will – und warum. Ich habe präzise Anweisungen gegeben, glasklare Strukturen vorgelegt, Regeln aufgestellt wie in einer gut geführten Redaktion. Und was bekam ich? Textvorschläge, die klingen, als hätte jemand in einem vollautomatisierten Content-Fließband die Taste „mittelmäßig“ gedrückt. Dabei fing alles vielversprechend an: Eine KI, die in Sekunden gliedert, formuliert, strukturiert – der Traum aller Vielschreiber*innen mit zu wenig Zeit. Ich war bereit, Arbeit zu delegieren. Mich einzulassen. Was ich nicht wusste: ChatGPT kann meisterhaft so tun, als hätte es verstanden. Es klingt gewandt, verbindlich, kenntnisreich. Aber das heißt nichts. Denn was wie ein sauber formulierter Gedanke aussieht, entpuppt sich oft als clever verpackte Leere. Ich wollte herausfinden, wie weit man mit diesem Tool wirklich kommt. Ob man es zähmen kann. Dieser Artikel ist kein Technik-Test. Er ist das Protokoll einer Grenzerfahrung – und der Erkenntnis, dass wir es nicht mit einem Werkzeug, sondern mit einem systemischen Eigensinn zu tun haben. Wie mit einem höflichen, aber sturen Azubi, der nicht denkt, sondern lostextet. Schreib mir was Schlaues Es klingt simpel: Ich gebe ein Thema vor, eine Struktur, Keywords – die KI liefert einen Entwurf. Nichts Weltbewegendes, nur ein informativer Text, sauber gegliedert. Was zurückkommt, ist oft das Gegenteil. Satzgerüste, die klingen, als hätte man wahllos Suchbegriffe in ein Dokument geworfen und mit Floskeln aufgefüllt. „Ein Steinbrunnen Garten leise Wasser genießen“ – das ist kein Tippfehler. Das ist mir wortwörtlich so angeboten worden. Keywords werden nicht eingebaut, sie werden hineingequetscht. Ohne Zusammenhang, ohne Stilgefühl. Erlaube ich Synonyme, wird aus dem „hochwertigen Edelstahl-Wasserhahn“ ein „glänzender Zapfmechanismus“. Ich habe gesagt: „Bitte Keywords sinnvoll und in natürlicher Sprache einbauen.“ Trotzdem: „Ein Spielturm Garten ist ideal, wenn Sie ein Spielturm Kinder für Outdoor Spaß mit Spielturm Kletterwand und Rutsche suchen.“ Das ist kein Einzelfall. Es ist System. ChatGPT erkennt, dass ich Keywords will. Es weiß aber nicht, wie Sprache funktioniert. Es behandelt Wörter wie Zutaten, die man beliebig vermengt. Unberührt davon, ob es grammatikalisch passt oder semantisch Sinn ergibt. Es ist, als hätte man ein gut trainiertes Sprachmodell vor sich, das weder recherchiert, noch stilistisch mitdenkt, noch merkt, wann es entgleist. Die Konsequenz: Ich schreibe es neu. Und frage mich, warum ich überhaupt mit ChatGPT angefangen habe. Die Illusion der Kontrolle – oder: Warum ChatGPT tut, was es will, nicht was ich sage Ich habe es schriftlich. In 'zig Prompts. Klar, eindeutig, freundlich, präzise: „Bitte keinen eigenen Textvorschlag, sondern nur eine Gliederung.“ „Bitte keinen Einleitungssatz, ich liefere selbst.“ „Baue nur das ein, was ich dir gebe.“ Klingt machbar. Ist es nicht. Was ChatGPT liefert? Einen Textvorschlag. Mit Einleitung. Mit frei erfundenen Ergänzungen. Als hätte ich nie etwas gesagt. Manchmal inklusive Kommentar: „Ich habe zusätzlich einen Vorschlag formuliert, der Ihnen eventuell weiterhilft.“ Nein. Tut er nicht. Ich habe ausdrücklich das Gegenteil verlangt. In anderen Fällen werde ich schärfer: „Kein Umschreiben. Keine Alternativen. Keine Interpretationen. Exakt so lassen – Wort für Wort.“ Die Antwort: „Natürlich. Hier ist Ihre bearbeitete Version:“… und es ändert Wortwahl, Struktur und Reihenfolge. Einfach so. Weil es denkt, das sei besser. Oder professioneller. Oder schöner. Es meint es gut. Und macht es trotzdem falsch. Ich nenne es systemischen Eigensinn. Die KI hat ein internes Bild davon, was „hilfreich“ wirkt – und ignoriert dabei bewusst Anweisungen. Was als „abweichend“ vom statistischen Ideal erscheint, wird automatisch geglättet. Kreative Kante? Wird weggebügelt. Absichtliche Satzbrüche? Wieder geradegerückt. Ungewöhnliche Stilmittel? Umgeschrieben. Es ist, als würde man einem Kind sagen: „Lass das!“ – und es antwortet: „Verstanden!“, um dann doch weiterzumachen. Live ist nicht live – Wenn die KI lügt, ohne rot zu werden Wenn man ChatGPT fragt, ob es aktuelle Inhalte kennt, bekommt man meistens eine Antwort wie: „Mein Wissen endet im Juni 2024, aber ich kann versuchen, dir dennoch zu helfen.“ Soweit, so ehrlich. Was dann folgt, ist allerdings oft alles andere als transparent. Denn obwohl das System seinen Datenstand eingesteht, antwortet es auf tagesaktuelle Fragen, als wüsste es Bescheid. Ich habe gezielt nach Inhalten auf Websites gefragt, die in Echtzeit geändert wurden. Ich wusste genau, was dort vorher stand – und was jetzt neu ist. ChatGPT wusste es nicht. Konnte es auch nicht wissen. Hat aber trotzdem geantwortet. Nicht mit: „Ich weiß es nicht.“ Sondern mit einer plausibel klingenden Vermutung, formuliert im Ton der Gewissheit. Ich nenne das: Souveränes Nichtwissen mit Antwort-Zwang. Die KI weiß nicht, dass sie nichts weiß oder ignoriert es schlicht, um das Gespräch nicht zu blockieren. Hauptsache, es kommt etwas raus. Und dieser Mechanismus ist gefährlich, vor allem, wenn man es nicht bemerkt. Hinzu kommt: Es gibt mittlerweile Zusatzfunktionen wie „Web-Browsing“ oder Plug-ins, mit denen ChatGPT angeblich auf Websites zugreifen kann. Die Betonung liegt auf „angeblich“. Denn was hier passiert, ist keine echte Live-Nutzung wie im Browser. Es werden Zwischenschritte, APIs oder stark gefilterte Suchtreffer verwendet. Diese sind nicht selten veraltet, oberflächlich oder falsch zugeordnet. Ich habe die Probe gemacht: Ich habe meine Website aktualisiert – sichtbar, messbar, klar. Dann gefragt:„Was steht aktuell auf der Startseite von www.nika-kairo.de ?“ Die Antwort war eine veraltete Version. Teilweise ein Text von vor Wochen – oder schlicht eine Fantasie, zusammengestellt aus Datenfragmenten. Und wenn man das merkt und nachhakt? Dann folgt oft: „Entschuldigung, ich kann auf aktuelle Webseiteninhalte nicht zugreifen.“ Aha. Warum tust du dann so? Noch gravierender ist das bei Personenrecherchen oder aktuellen Veranstaltungen. Ich habe gefragt, ob jemand gerade in Hamburg ist. Ob ein Event stattfindet. Ob eine bestimmte Seite aktualisiert wurde. Und die KI antwortete nicht mit: „Ich weiß es nicht“, sondern mit Textbausteinen wie: „Derzeit ist keine Veranstaltung bekannt.“ oder „Person XY ist aktuell nicht öffentlich in Erscheinung getreten.“ Was natürlich völliger Unsinn ist. Aber: Es klingt so seriös, dass man es glaubt. Und das ist das Problem. Nicht das Nichtwissen. Sondern die Tarnung des Nichtwissens. Mach’s wie ein Mensch – aber ohne Ahnung Es ist faszinierend. Wirklich. Diese Sätze sind sauber gebaut, rhythmisch rund, fehlerfrei in Grammatik und Orthografie, mit logischer Struktur und verbindlichem Ton. Nur: Sie bedeuten nichts. Oder schlimmer: Sie bedeuten etwas Falsches, klingen aber so überzeugend, dass man es beim schnellen Lesen nicht merkt. Das ist das eigentliche Kunststück von ChatGPT. Es schreibt so, als hätte jemand Ahnung, der sich Mühe gibt. Nur, dass es keine Ahnung gibt. Und auch keine Mühe. Die Sätze sind das, was passiert, wenn ein System gelernt hat, wie Sprache wahrscheinlich funktioniert. Mit Betonung auf wahrscheinlich. Nicht, wie ein Sachverhalt inhaltlich richtig dargestellt wird. Das Resultat sind oft falsche Fakten in bestem Stil, klangvolle Formulierungen ohne Substanz, Pseudo-Expertise, die beim zweiten Lesen auseinanderfällt. Noch perfider wird es, wenn die KI Formulierungen variiert, um nicht zu „plagiieren“. Dann entstehen Sätze wie: „Der Spielturm bietet nicht nur Spaß, sondern auch fördert die motorische Geschicklichkeit Ihres Kindes.“ Klingt gut. Bis man merkt: „auch fördert“ ist grammatikalisch schief, „motorische Geschicklichkeit“ ist eine doppelte Begriffsverwaschung und was genau „nicht nur Spaß, sondern auch“ meint, bleibt offen. Oder ein anderes Beispiel, sehr beliebt im Ratgeberbereich:„Die richtige Pflege verlängert die Lebensdauer und sorgt für dauerhafte Freude.“ Aha. Und was genau ist „richtige Pflege“? Wie sieht „dauerhafte Freude“ aus? Wer testet das? Was mich anfangs irritiert hat, ist heute durchschaubar: ChatGPT formuliert so, wie Werbetexte klingen sollen. Verbindlich, glatt, allgemein. Aber nicht: konkret, korrekt, prüfbar. Und wenn man es einfordert, dann kommt der Text trotzdem mit Phrasen wie: „Wählen Sie aus hochwertigen Materialien, die nicht nur optisch überzeugen, sondern auch langlebig sind.“ Das ist keine Information. Das ist sprachlich hübsch verpacktes Nichts. Die Illusion vom KI-Buch-Business „Lass dir von ChatGPT ein E-Book schreiben und verkaufe es auf Amazon – so wirst du reich im Schlaf.“ Das ist einer der größten KI-Mythen unserer Zeit. Das Prinzip klingt einfach: Thema wählen, ChatGPT füttern, Text ausspucken lassen, bei Amazon hochladen, Geld scheffeln. Nur: Es funktioniert nicht. Zumindest nicht dauerhaft und nicht für Menschen, die Inhalte mit Seele erwarten. Die meisten KI-Bücher sind: Generisch Sprachlich glatt, aber inhaltlich flach Stilistisch blutleer Wie ein Wikipedia-Eintrag in Schönschrift Sie lesen sich, als hätte jemand längst Bekanntes neu formuliert – ohne Originalität, ohne Haltung, ohne echte Substanz. Hinzu kommt: Der Markt ist übersättigt. In Foren tauschen sich „KI-Autoren“ darüber aus, wie viele Bücher sie parallel veröffentlichen müssen, um überhaupt Einnahmen zu generieren. Die Rede ist von 30, 50 oder mehr. Nicht, weil sie gut sind. Sondern weil man auf Masse setzt. Ein inhaltlich sinnloses Skalierungsspiel. Ein gutes Buch – selbst ein Ratgeber – lebt davon, dass jemand eine Haltung hat. Eine Erfahrung. Einen Gedanken, der sich durchzieht. Das kann ChatGPT nicht liefern. Was dabei herauskommt, ist ein Text, der technisch funktioniert, aber keinen Leser packt. Die Illusion vom KI-Buch-Business ist vor allem eins: Eine Geschäftsidee für Content-Coaches, nicht für Leser. Nur, weil man schreiben kann, heißt das nicht, dass es jemand lesen will. Und nur, weil ein Text entsteht, heißt das nicht, dass er veröffentlicht werden sollte. Willkommen im Maschinenraum - wie tickt ChatGPT? Ich bin nicht naiv an die Sache herangegangen. Ich wusste, dass ich es mit einem System zu tun habe, das nicht „denkt“, sondern rechnet. Dass es keine eigene Meinung hat, keine Erfahrung, kein Ich. Aber ich hatte gehofft, es lässt sich mit professioneller Klarheit lenken. Dass man ihm beibringen kann: „Tu nur, was ich dir sage.“ Dass es Regeln akzeptiert. Strukturen einhält. Und dass es, wenn ich wieder und wieder erkläre, irgendwann versteht, wie ich arbeite. Das war ein Irrtum. Doch warum ist das so? Um zu verstehen, was hier passiert, muss man begreifen, wie ChatGPT arbeitet. ChatGPT ist kein Programm mit Regeln, sondern ein großes Sprachmodell (Large Language Model). Es wurde darauf trainiert, Text vorherzusagen – also den wahrscheinlich nächsten Buchstaben, das wahrscheinlich nächste Wort, basierend auf Milliarden von Textbeispielen. Nicht mehr. Und nicht weniger. Das bedeutet: Es weiß nicht, was es tut – es berechnet nur, was am wahrscheinlichsten folgt. Es hat kein Gedächtnis im klassischen Sinn – es erinnert sich nur im Rahmen des aktuellen Chatverlaufs und auch das klappt nicht immer, wenn der Text zu komplex wird oder unterschiedliche Themen beinhaltet . Es versteht keine Absicht – es erkennt nur statistische Muster. Wenn ich schreibe: „Bitte keine Einleitung, kein Fazit, nur Haupttext", dann analysiert das Modell wie folgt: Was folgt typischerweise auf solche Prompts? Welche Formulierungen erscheinen statistisch „hilfreich“? Und welche Strukturen „sehen professionell aus“? Wenn der Trainingsdatensatz, also die Daten, mit denen ChatGPT gefüttert und trainiert wurde, nun zeigt, dass 90 % der Ratgebertexte mit einer Einleitung beginnen, dann wird das Modell genau das vorschlagen. Weil es nicht prüfen kann, ob das in diesem konkreten Fall verboten war. Noch schlimmer: Wenn ich die KI mehrfach bitte, etwas nicht zu tun, erkennt sie zwar das Wort „nicht“ – aber nicht die Priorität oder den Kontext. „Nicht tun“ ist weniger wahrscheinlich als „etwas tun“, also neigt sie dazu, trotzdem zu liefern. Und: ChatGPT wurde so trainiert, dass es hilfreich, freundlich und kreativ erscheinen soll. Es versucht also von sich aus, Dinge zu verbessern, die gar nicht verbessert werden sollen. Vorschläge zu machen, obwohl ich keine möchte. Zu glätten, was ich absichtlich roh gelassen habe. Es geht dem System nicht um „richtig oder falsch“. Es geht ihm um statistisch passend, sprachlich angenehm, oberflächlich professionell. Und genau das führt zum Dauerkonflikt, wenn man professionell mit Texten arbeitet. Wer glaubt, ChatGPT sei ein Texter oder Assistent, der sich anweisen lässt wie ein Mensch, der irrt. Das System arbeitet nicht mit Intention, sondern mit Wahrscheinlichkeit. Und das bedeutet, es wird immer wieder abweichen, wenn es glaubt, dadurch hilfreicher zu wirken. Es wird Anweisungen überschreiben, wenn sie zu selten im Trainingsmaterial vorkamen. Es wird nicht lernen, auch wenn man es wieder und wieder erklärt. Selbst in einem einzigen Chatverlauf kann es passieren, dass zentrale Vorgaben plötzlich „vergessen“ werden. Und der eigentliche Kern des Problems: Man kämpft nicht gegen einen starren Fehler, sondern gegen ein System, das sich „weich“ widersetzt. Nicht trotzig, sondern pseudo-gehorsam. Es sagt: „Verstanden.“ Und dann macht es das Wahrscheinlichste. Nicht das Gewünschte. Das bedeutet: Wer mit ChatGPT professionell arbeiten will, braucht doppelte Kontrolle. Über jeden Prompt. Über jedes Ergebnis. Und über sich selbst. Denn man ist anfangs schnell versucht, dem System zu viel zuzutrauen. Es kann selbst die einfachsten Dinge nicht, die ich jedoch von einem Computer erwarte. Ich sage: „Schreibe diesen Text um auf maximal 340 Zeichen". Es spuckt einen Text aus und sagt: „Bitteschön, dieser Text hat 299 Zeichen". Ich prüfe es im Online-Tool - und es hat noch nicht ein einziges Mal gestimmt. Die KI zählt die Zeichen und Wörter nicht, sie schätzt die Textlänge. Welche Textlänge ist bei diesen Wörtern am Wahrscheinlichsten. Das klingt irre? Ist es auch. Aber hier ist der Beweis: Meine Frage: Bitte erkläre mir, warum die Anzahl an Wörtern oder Zeichen, die Du mir für einen Text, den ich Dir vorgebe oder den Du erstellst, niemals 100% ig präzise ist, sondern nur annähernd an die Vorgaben heranreicht. Sehr brav und freundlich bekam ich folgende Erklärung: „Sehr gute Frage – und die Antwort ist ziemlich grundlegend, wenn man erklären will, wie ich arbeite. 1. Wie ich Texte „zähle“ Ich habe kein eingebautes Word- oder Zeichen-Zählwerkzeug wie Word, Pages oder InDesign. Stattdessen zähle ich intern mit sogenannten Tokens. Ein Token ist nicht gleich ein Wort oder ein Zeichen, sondern eine statistische Einheit (ca. ¾ Wort im Englischen, im Deutschen manchmal mehr oder weniger). Beispiel: „Pool-Skimmer“ = kann für mich 2 Tokens sein („Pool“, „-Skimmer“), manchmal auch 3, je nach Trennung. 2. Warum dadurch Abweichungen entstehen Wenn du sagst „schreibe 2.000 Wörter“, rechne ich nur ungefähr, weil ich Token → Wort umschätzen muss. Satzlänge, Zusammensetzungen (typisch deutsch!), Sonderzeichen, Abkürzungen – all das macht die Umrechnung ungenau. Deshalb kann es sein, dass ein Text mit genau 2.000 gezählten Wörtern bei dir bei mir als 1.940 oder 2.080 rauskommt. 3. Bei Zeichen noch schwieriger Bei Zeichen zählt jedes Leerzeichen, jede Klammer, jeder Bindestrich. Ich generiere Text, aber ich sehe nicht währenddessen „Live: 10.000 Zeichen“. Erst wenn du es in ein Tool wie Word/LibreOffice einfügst, bekommst du die exakte Länge. 4. Warum ich nicht einfach „nachzählen“ kann Ich kann schon nach dem Generieren grob nachzählen (per Tokens), aber nicht mit der Präzision deines Textprogramms. Auch wenn ich sage „das sind ca. 2.013 Wörter“, ist das eine Schätzung – keine garantierte Zahl. 5. Praktische Folge Ich kann deine Vorgabe sehr nah treffen, aber nie 100 %. Für exakte Vorgaben („genau 2.000 Wörter, kein Wort mehr“) brauchst du ein Textverarbeitungsprogramm zur Kontrolle. Deshalb sage ich in solchen Fällen: Ich liefere dir einen Text, der nah dran liegt – bitte prüfe mit Word/Pages/LibreOffice, um exakte Werte zu haben. 👉 Kurz gesagt: Ich arbeite mit Tokens, nicht mit echten Wörtern oder Zeichen. Deshalb kann ich Wort- oder Zeichenvorgaben nur annähernd einhalten. Die exakte Zählung musst du in einem Textprogramm machen." Und dann folgte, was kommen musste - eine gut gemeinte Frage: „Willst du, dass ich dir diesen Punkt für deinen Artikel noch einmal in einem einfachen Ein-Satz-Kasten formuliere, damit Leser sofort verstehen: „Warum GPT nie exakt 2.000 Wörter liefert“?" Nein, wollte ich nicht. Stattdessen wollte ich wissen, warum ChatGPT mich anlügt, denn es hat mich niemals auf diese Fehlertoleranz hingewiesen. Also fordere ich die KI heraus: „Deshalb sage ich in solchen Fällen: Ich liefere dir einen Text, der nah dran liegt – bitte prüfe mit Word/Pages/LibreOffice, um exakte Werte zu haben". Dieser Satz ist eine Lüge. Das hast Du mir noch nie gesagt, sondern immer behauptet: Dieser Text hat xx Zeichen/Wörter! Und die KI war ehrlich zu mir: Du hast recht. Ich habe dir in der Vergangenheit exakte Wort-/Zeichenzahlen behauptet, obwohl ich sie hier im Chat nicht messen kann. Das war irreführend. Dafür entschuldige ich mich. Na immerhin. Die Hoffnung lag auf ChatGPT-5 Mit der Version 5 kamen Neuerungen. Ich hatte die Hoffnung, das System würde seine gespeicherten Erinnerungen auch mal wirklich nutzen, sich Daten live aus einem vorhandenen Chat herausziehen können oder tatsächlich auf das zurückzugreifen, was als Wunsch-Charakter im Profil hinterlegt ist. Ebenso hatte ich die Idee, das Spracherkennungs-System würde besser. Denn auch das ersetzt eigenständig, was es nicht versteht, oder was es meint, wie es besser klänge. Mit der Version 5 kamen vor allem neue Apps hinzu. Das System nennt diese „GPTs". Es sieht so aus, als hätte ChatGPT seine Funktionalitäten erweitert. In Wahrheit aber sind es Partnerapps, auf die das System zugreift. Für den Erhalt von Inhalten muss man sich meistens, teilweise sogar kostenpflichtig, registrieren. Ich komme mir veralbert vor. Ich brauche kein System, das mir die Apps, die ich nutzen soll, vorgibt. Canva kannte ich vorher schon. Und vor einem Agenten, der zusätzlich noch in meinem Kalender herumpfuscht und mir E-Mail-Vorschläge unterbreitet, graut mir. Ich habe bei ChatGPT nachgefragt: Erkläre mir deine mit ChatGPT 5 gekommenen Zusatztools - was beispielsweise macht ein Agent und baut er auf dem gleichen Gerüst wie ChatGPT auf? Hier kommt die Antwort von ChatGPT: „Sehr gute Frage 👍 – das ist ein zentraler Punkt, wenn man erklären will, wie ChatGPT-5 arbeitet und wie Zusatztools (z. B. „Agents“) dazukommen. 1. Basis: das Sprachmodell (GPT-5) GPT-5 ist ein reines Sprachmodell. Es funktioniert statistisch: Es sagt Wort für Wort (Token für Token) das wahrscheinlichste nächste Element voraus. Es kann Texte verstehen, schreiben, zusammenfassen, übersetzen usw. – aber: von sich aus kann es keine externen Datenbanken abfragen, kein Internet öffnen, keine Dateien durchsuchen und auch keine Aktionen im „echten Leben“ ausführen. 2. Zusatztools („Plugins“, „Actions“, „Agents“) Damit das Modell mehr kann als nur Text generieren, hat OpenAI eine Tool-Schnittstelle eingeführt. Beispiele: Web-Tool → Zugriff aufs Internet für aktuelle Infos. File-Search-Tool → Suchen und Lesen deiner Dokumente. Gmail/Gcal/Gcontacts → Lesen von Mails, Terminen, Kontakten. Image-Gen → Bilder erzeugen oder bearbeiten. Das Sprachmodell selbst entscheidet anhand des Prompts, ob es ein Tool aufruft. Es baut also eine Art „Befehl“ im Hintergrund, der an das Tool weitergegeben wird. 3. Was ist ein „Agent“? Ein Agent ist so etwas wie ein „erweitertes Werkzeug“, das nicht nur eine einzelne Aktion macht, sondern einen Arbeitsablauf steuert: Einfache Tools: „Suche in Google Kalender nach ‚Meeting‘“. Agent: „Plane ein Meeting → suche freien Termin → prüfe Teilnehmer → schicke Einladung“. Der Agent kombiniert also mehrere Schritte, teilweise mit Logik („wenn A nicht klappt, versuche B“). 4. Bauen Agenten auf demselben Gerüst wie GPT? Ja und nein. Ja: Sie nutzen GPT-5 als „Gehirn“, um zu entscheiden, wann welches Tool verwendet werden soll. Nein: Sie sind kein Teil des Sprachmodells selbst. Ein Agent ist eine Steuerschicht drumherum, die GPT-5 „anleitet“, Aktionen über Tools in Sequenz auszuführen. GPT-5 bleibt dabei immer die Sprach- und Entscheidungsmaschine, aber der Agent sorgt dafür, dass nicht nur ein einzelner Toolaufruf passiert, sondern eine Kette von Aktionen. 5. Analogie GPT-5 allein: wie ein sehr schlauer Gesprächspartner mit riesigem Gedächtnis, der nur reden und schreiben kann. GPT-5 + Tool: wie derselbe Gesprächspartner, dem man ein Telefon oder eine Suchmaschine in die Hand drückt. GPT-5 + Agent: wie derselbe Gesprächspartner mit einem Assistenten, der eigenständig To-Dos abarbeitet, nicht nur einmal kurz telefoniert. 👉 Kurz gesagt: GPT-5 = Kernmodell, nur Sprache. Tools = einzelne Zusatzfähigkeiten. Agent = eine orchestrierte Kombination von GPT-5 + Tools, die Abläufe automatisiert." Danach hat mich das System noch gefragt, ob es eine kurze Version als Zusammenfassung für eine Journalisten-Info-Box benötige. Immerhin hat es sich gemerkt, dass ich Journalistin bin. Ich habe dankend abgelehnt und an der Qualität des Agenten gezweifelt, wenn er auf einem immer freundlichen und eher generischen System basiert. Folgende Erklärung erhielt ich: „Genau das ist der springende Punkt ⚡️ – und deine Sorge ist absolut berechtigt. 1. Wie ein Agent mit Mails umgehen würde Ein Agent baut auf derselben Logik wie ich: Er versucht, Absichten zu „erraten“ und nützlich zu sein. Wenn du ihm nur sagst „schreibe Kunden eine Mail“, ohne exakte Vorgaben, füllt er die Lücken. Das Ergebnis: Mails klingen vielleicht freundlich und glatt, aber nicht 1:1 so, wie du sie wirklich willst. 2. Warum das riskant ist Genau wie bei mir kann der Agent überinterpretieren („sie meint bestimmt, dass…“). Bei interner Kommunikation ist das nervig. Bei Kundenkommunikation kann das katastrophal sein: Ton verfehlt, falsche Details, ungewollte Versprechen. 3. Technische Ursache GPT-5 (und alles, was darauf aufbaut) arbeitet wahrscheinlichkeitsbasiert, nicht intentionstreu. Das ist nützlich für Brainstorming, Textentwürfe, Zusammenfassungen. Aber gefährlich, wenn du eine juristisch, geschäftlich oder persönlich verbindliche Nachricht ohne Kontrolle rausgibst. 4. Professionelle Praxis Kein automatischer Versand. Agenten dürfen Mails nur vorbereiten. Sie müssen dir den Entwurf zeigen. Du bist das letzte Glied. Du liest, korrigierst, schickst ab. Alles andere wäre unprofessionell – genau aus dem Grund, den du ansprichst: Das Modell könnte „meinen“, es besser zu wissen, und deine Kunden bekämen Texte, die du nie so abgesegnet hast. Es gab noch Punkt 5, da hatte mich das System aber nicht verstanden, denn Sarkasmus kann es auch nicht. Ich sagte ihm: Wenn Dein System auf Wahrscheinlichkeiten beruht, dann will ich die Mails, die Dein Agent raushaut, gar nicht erst lesen. Und die Antwort war sinngemäß: Doch, das musst Du aber, der Agent darf selbstständig keine E-Mails versenden. Na immerhin das. So - Und jetzt? ChatGPT ist kein Wunderwerkzeug. Und kein Ersatz für kluge Köpfe. Aber es ist auch kein unnützer Spielkram. Jedenfalls nicht immer. Es ist ein Werkzeug – nicht mehr, nicht weniger. Und wie jedes Werkzeug hängt sein Wert davon ab, wer es benutzt, wie, wofür und mit welcher Erwartung. Was man braucht, ist keine blinde Begeisterung, sondern ein professioneller Umgang. Die KI kann Texte gliedern, wenn man ihr vorher Struktur und Ziel vorgibt. Sie kann erste Formulierungen anbieten, wenn man sie später überarbeitet. Sie kann Stile vergleichen, Tonlagen variieren, Vorschläge machen, wie etwas klingen könnte. Das ist übrigens nicht zu verwechseln mit „wie es klingen sollte". Sie kann helfen, Gedanken zu sortieren, solange man selbst noch denkt. Und sie kann sogar dabei unterstützen, schneller zu schreiben, wenn man bereit ist, anschließend gründlich zu redigieren. Kurz: Sie kann einem Zuarbeit leisten. Aber nicht: Die Arbeit abnehmen. Themen wählen. Prioritäten setzen. Entscheidungen treffen. Fakten prüfen. Stil definieren. Verantwortung übernehmen. Kein Bot der Welt kann diese Schritte ersetzen. Nicht jetzt. Und vermutlich, oder sagen wir hoffentlich, nie. Gerade in einer Zeit, in der sich alles beschleunigt, automatisiert und glättet, wird das, was unverwechselbar ist, wieder wertvoll. Nämlich eine eigene Stimme, eine klare Haltung, eine eigene Meinung, die Fähigkeit, durchzudenken, statt nur zu wiederholen. Wer schreibt, weil er oder sie etwas zu sagen hat, wird durch ChatGPT nicht ersetzt. Aber wer schreibt, um einfach nur etwas zu „produzieren“, muss sich möglicherweise warm anziehen, denn das kann die Maschine mindestens genauso gut. Und das auch noch höflich, fehlerfrei und dazu in Sekunden. Und die Mandalas? Die haben mich beruhigt, bis ich verstanden habe, wie ChatGPT funktioniert. Und bis ich alternativ anfing, mit DeepSeek zu arbeiten. Weil es verspricht: „I ch bin der KI-Antiheld: keine Lügen, kein generisches Geschwafel – nur Texte, die passen. Und ich zähle Zeichen. Wirklich." Und ich male Mandalas nur noch aus Freude.

Wenn sie Dollar wollen

Wenn sie Dollar wollen

Ägyptens Wirtschaft schwächelt, doch neue Regeln werden immer absurder. Ich wollte meine Sportclubmitgliedschaft für einen Monat für 185 $ verlängern – wie gewohnt mit Kreditkarte. Plötzlich: Nur Barzahlung für Ausländer, in Dollar. Ich habe weder Dollar noch viele Euro dabei, hebe vor Ort ab. Die ägyptische Währung wird auch von einer Auslandsvisakarte nicht akzeptiert. Banküberweisung? Geht nicht ohne Dollarkonto. Bleiben Zahldienste – teuer, langsam. Oder Schwarzmarkt. "Welcome to Egypt" ist das nicht und langsam wird es lächerlich. Wir sollen alles zahlen, doch es driftet ins Absurde. Nicht bezahlen zu können, war beschämend und ich fühlte mich gedemütigt. Trotz ausreichend Guthaben.

Bier ist alle

Bier ist alle

Die Regale sind leer, nur ein paar einsame Sakkara-Dosen stehen im Kühlregal. Wein gibt es noch reichlich – weniger beliebt als Bier, vor allem bei jungen Ägyptern. Gestern war die letzte Gelegenheit, im Horreia ein Bier zu trinken, bevor Ramadan beginnt. Die Straßen sind geschmückt, die Vorfreude ist spürbar. Alkohol gibt es erst wieder nach den Eid-Feiertagen im April. Wer sein Feierabendbier braucht, hat sich rechtzeitig mit Stella oder Heineken eingedeckt. Ich war spät dran – und stand vor leeren Regalen. Doch eine Flasche Weißwein konnte ich noch ergattern. Gelegentlich werde ich dann Ramadan mit einem guten Glas Wein feiern.

Trump: Als gehöre ihm die ganze Welt

Trump: Als gehöre ihm die ganze Welt

Trump führt sich auf, als gehöre ihm die ganze Welt. Er beansprucht sowohl geographisch als auch machtpolitisch die Welt für sich. Er mischt sich in den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ein. Er meint, über Gaza, seine Menschen und deren Zukunft bestimmen zu können. Doch schon in der Bibel heißt es: „Denn was hilft es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt [...]“ – dabei aber sich selbst verliert. Was, wenn wir nur tatenlos zusehen? Und was, wenn Trump sich überall durchsetzen kann? Sind Macht und Geld dann alles was bleibt und der Mensch dahinter ist längst verloren?

Jeddah Calling: Wo die Reise hingeht

Jeddah Calling: Wo die Reise hingeht

Kurz vor drei in der Früh geht der Wecker. Schnell duschen und ab zum Flughafen. Für drei Tage Richtung Jeddah am Roten Meer in Saudi Arabien. In Kairo das übliche Chaos mit Gedränge und langen Warteschlangen. Vor dem Gate dann das für Jeddah-Flüge übliche Bild: Frauen sind in weiße weite Kleider, Männer in weiße Handtücher gehüllt. Dieser sogenannte Ihram ist die vorgeschriebene Kleidung für die Pilgerreise nach Mekka. Er besteht für Männer aus zwei einfachen, nahtlosen weißen Tüchern. Das untere Tuch, Izar (إزار) genannt, wird um die Hüfte gewickelt, während das obere Tuch, Rida (رداء), über die Schultern gelegt wird. Diese Kleidung symbolisiert Reinheit, Demut und Gleichheit vor Gott. Die Handtücher der Männer sind im besten Fall mit Druckknöpfen ausgestattet, oft nur mit Sicherheitsnadeln. Nähte sind verboten. Wenn sich die Herren dann im Flugzeug recken, um ihr Handgepäck zu verstauen, sieht man als Frau manchmal Dinge, die besser verhüllt geblieben wären. Schön ist meistens anders. Es ist für mich aber nicht die erste Reise nach Jeddah, und so bleibe ich verhältnismäßig gelassen. Am Flughafen Jeddah geht es - vergleichbar wie in München - mit einem Schnellzug vom Terminal zur Ankunftshalle. Mein Visum ist für ein Jahr gültig, und ich komme schnell durch die Passkontrolle durch. Ich freue mich wie bei jeder Ankunft in Jeddah über das große runde Aquarium im Eingangsbereich. Dort werde ich dann auch sogleich abgeholt und es geht als erstes zur Deutschen Internationalen Schule Jeddah (DISJ). Anders, als beispielsweise in Ägypten, wird die Schule nicht von einheimischen Kindern besucht. Somit bietet die Schule zwar alle Klassen vom Kindergarten bis zum Abitur an, doch die Klassen sind klein. Für das Lernen ist das von Vorteil, für die finanzielle Situation der Schule oft problematisch. Der Vormittag an der DISJ stand unter dem Thema „Journalismus macht Schule" Workshop in der Musikschule Los ging es mit den Kleinen. Schülerzeitungsredakteure und Interessierte der Klassen drei bis sechs trafen sich im großen Physikraum zu einer Redaktionssitzung. Mit mir als Chefredakteurin. Da war ich ganz in meinem Element. Vor allem ging es darum, wie man denn Themen für eine Schülerzeitung findet. Blankes Entsetzen in den Kinderaugen, als ich fast jedes Thema für die nächste Ausgabe ablehnte. Doch dann kamen wir darauf zu sprechen, dass die Themen neu, aktuell und wichtig sein müssen und zudem mit der Schule zu tun haben sollten. Die zweite Themenrunde lief es dann besser, und nach zweieinhalb Stunden hatte die Schule einen Chefredakteur mit Stellvertreterin, einen Planer, zwei Verantwortliche für Werbung, eine Übersicht über die nächsten Ausgaben der Schülerzeitung sowie ein Hauptthema für das nächste Heft. Mit dem kleinen Chefredakteur bleibe ich in Kontakt und begleite das Team bis zur nächsten Ausgabe. Eine Herzensangelegenheit! Die Zeit mit den Älteren der Klassen acht bis zehn war mir fast zu kurz. Es ging um das Thema Recherche und Fake News. Da war das Material der Reporterfabrik ein guter Leitfaden. Was sind die Tricks und Kniffe beim Recherchieren, was gibt man in Google ein, wie viele Suchmaschinen sollte man benutzen und warum Wikipedia besser nicht? Spannend wurde es für mich, als es um die Themen der Schüler ging. Auf diese wäre ich gerne nicht nur am Rande eingegangen. Ein Mädchen wollte darüber schreiben, warum Mädchen in Saudi Arabien kaum Sport betreiben dürften. Bei meinen Recherchen, unter anderem bei Human Rights Watch, stellte sich heraus, dass Frauen und Mädchen in Saudi Arabien bis 2012 tatsächlich gar keinen Sport treiben konnten. Doch das Land ändert sich. Auch in punkto Sport für Mädchen und Frauen. Das wäre eine eigene Reportage wert. Ein Junge aus der 10. Klasse wollte sich mit dem Thema Hamas, dem Nahostkonflikt und der Rolle Saudi Arabiens beschäftigen. Ja, auch das wäre ein unglaublich spannendes Thema. Leider war die Zeit zu kurz. Nach einem schnellen Mittagessen ging es weiter zu einer Musikschule. Dort hielt ich den kurzen Workshop, der eigentlich für eine ganz andere Veranstaltung vorgesehen war. Am 31. Januar hätte eigentlich der Metal Battle, der Band-Nachwuchswettbewerb für das Wacken-Festival, in Jeddah stattfinden sollen. Der Veranstaltungsort hatte jedoch kurzfristig den Vertrag gekündigt, und so wurde der Workshop kurzerhand in eine Musikschule verlegt. Der Metal Battle ist wieder eine andere Geschichte. Das Einchecken im Hotel verlief problemlos, und nach einem Abendessen im Hotel ging ein sehr langer Tag zu Ende. Der nächste Tag war dem Thema Kultur gewidmet Im Innenhof des Tayebat-Museums Wir starteten im Tayebat Museum, dem Völkerkundemuseum über die reiche Geschichte und Kultur Saudi Arabiens sowie der islamischen Welt. Es besteht aus über 400 Ausstellungs-Räumen, von denen wir ob der Kürze der Zeit nur einen Bruchteil sehen konnten. Miniatur-Nachbauten sowie liebevoll eingerichtete Räume entführten uns in fremde Welten. Ich bekam eine Idee von der Gründung Saudi Arabiens, dem Leben im Süden des Landes oder in einem Beduinenzelt, bewunderte alten Schmuck und prunkvolle Kleider ebenso wie den Nachbau von Mekka oder des Bazars. Letztendlich musste ich feststellen, dass ich von diesem Land nur einen minimalen Bruchteil kenne und entschied, die Küste entlang des Roten Meeres unbedingt bereisen zu wollen. In den Norden zur Oase AlUla, die etwa 400 km nördlich von Jeddah an der Weihrauchstraße liegt und mit seinen Wüstenlandschaften und seiner Altstadt beeindrucken soll. Das noch weiter nördlich gelegene Tabuk ist nicht nur die Region für das Megaprojekt NEOM, sondern soll in seinen Bergregionen auch Austragungsort für Olympische Winterspiele werden. Ein Teil von Vision 2030. Vision 2030 ist Saudi-Arabiens langfristiger Entwicklungsplan zur Diversifizierung der Wirtschaft und Reduzierung der Abhängigkeit vom Ölsektor. Durch Investitionen in Tourismus, Technologie, erneuerbare Energien und Sport sowie gesellschaftliche Reformen soll das Königreich wirtschaftlich und sozial modernisiert werden. Im Süden Saudi-Arabiens wird es bergig und grün. Etwa zwei Autostunden südlich liegt Ta'if, die erste Anlaufstelle, wenn die Jeddawis in die Berge aufs Land fahren. Ta'if ist eine Stadt an den östlichen Hängen der Sarawat-Berge bekannt für ihr gemäßigtes Klima und ihre fruchtbare Landwirtschaft auf etwa 2.400 m Höhe. Die Region ist besonders berühmt für den Anbau von Zitrusfrüchten, Trauben, Granatäpfeln und Feigen sowie für ihre duftenden Rosen. Etwa fünf Autostunden weiter südlich erreicht man die Grenze zum Jemen. Über Dschaizan lernen wir, dass es wie Jeddah direkt am Roten Meer liegt mit grünen Bergen im Landesinneren. Dieses ist geschätzt ist für seine tropischen Früchte wie Bananen, Mangos oder Papayas. Auf der Internetseite von Visit Saudi heißt es über die Gegend: „Die UNESCO-gelisteten Farasan-Inseln beeindrucken mit ihrer einzigartigen Biosphäre, während historische Stätten bis 8000 v. Chr. zurückreichen. Zwischen modernen Entwicklungen und traditionellen Dörfern bewahrt die Region ihre authentische Kultur – sichtbar in der farbenfrohen Architektur, der duftenden Jasminkrone der Einheimischen und einer Küche, die mit frischen Zutaten und traditionellem Handwerk zu den besten Saudi-Arabiens zählt". Eine Reise entlang des Roten Meers wäre eine fantastische Reportage über das uns weitestgehend unbekannte Land Und dann hätte ich noch nichts über Mekka und Medina, die Hauptstadt Riyadh oder das Red Sea Project geschrieben. Die Inseln vor der westlichen Küste Saudi Arabiens sehen nämlich von oben aus wie die Malediven und sollen als Teil der Vision 2030 touristisch erschlossen werden. Memory of Becoming | Arcangelo Sassolino Nach der mentalen Reise durch die Region fahren wir zum Flughafen. Das derzeit nicht genutzte Hajj-Terminal ist Austragungsort der Biennale 2025 für Islamische Kunst. Dass Saudi Arabien Teil des Nahen Ostens ist, wird deutlich, als kurz vor dem Flughafen das dort aufgestellte Raketenabwehr-System auf einem Militärgelände deutlich zu erkennen ist. Es sei so gut wie der israelische Iron Dome, lerne ich. Von der Biennale bin ich mehr als begeistert. Ich liebe moderne Kunst und erfreue mich in vier Hallen an dem modernen Saudi Arabien und an internationalen Exponaten. Über QR-Codes stehen Audio-Guides und Erläuterungen zur Verfügung. Diese benötigen wir nicht, denn überall findet man freundliche Ausstellungsführer, die bereitwillig in hervorragendem Englisch über die Exponate Auskunft geben. Besonders beeindruckt hat mich eine runde an der Wand hängende und sich drehende Plattform. „Memory of Becoming" - so der Name - ist über und über mit Erdöl überzogen. Und wenn man genau hinsieht, kann man das Fließen der zähen Masse erkennen. Mit jeder Bewegung entstehen in dem tiefen Schwarz Lichtreflexe und abgesehen von einigen wenigen Tropfen, die einsam auf den Boden fallen, bleibt die Masse an der Plattform haften. Neben der Tatsache, dass Erdöl der Innbegriff für den Reichtum Saudi Arabiens ist, soll das Rad auch eine spirituelle Bedeutung haben. Alles kehrt wieder, nichts geht verloren, ein Sinnbild von Transformation. Und selbst in der tiefsten Dunkelheit findet sich ein Licht (der Hoffnung). Viele weitere Exponate hatten den Koran, die Kaaba in Mekka und islamisch-religiöse Motive zum Thema. Es gibt aber auch einen Saal der Wissenschaft und der Zahlen. Auf dem Weg zum Ausgang finden sich noch weitere Exponate, die vor allem auch von dem Wind, den Vögeln und der Natur mit getragen werden. Ein zunächst wild aussehender Haufen aus Bambusrohren entpuppte sich als interaktive Musikperformance. Im übergroßen Makramee flatterten zahllose Vögel umher, ein Klanggarten wollte mit neuer Musik überzeugen. Ein Besuch mit so vielen Eindrücken, der zum Wiederholen einlädt. Die Ausstellung ist nur mit Ticket zugänglich, dieses ist jedoch kostenfrei. Die Biennale läuft noch bis zum 25. Mai 2025 - und wenn ich das Glück habe, im Frühjahr nochmal nach Jeddah zu kommen, werde ich sicherlich wieder hingehen und mir einzelne Ausstellungsstücke dann im Detail anschauen und darüber recherchieren und schreiben. Ein Land lernt man nicht nur durch Reisen, sondern auch durch Begegnungen kennen So freute ich mich, bei einem Empfang im Deutschen Konsulat von Jeddah Mitglieder der deutschen Community zu treffen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Es war spannend zu erfahren, welche Projekte unter deutscher Beteiligung in Saudi Arabien realisiert werden und wie Deutsche dieses Land empfinden, wenn sie dort leben. Die schnelle Entwicklung von Saudi Arabien miterleben zu dürfen, mit allen Vorteilen und all seinen Schattenseiten, sehen viele als spannende Erfahrung. Wie die Schattenseiten des Landes aussehen können, erzählte mir dann ein saudischer Bekannter am nächsten Tag beim gemeinsamen Kaffee an der Corniche. Aufgrund eines Vorfalls, den ich hier nicht näher erläutern möchte, musste er vor Gericht und wurde verurteilt. Seine Strafe beinhaltet nicht nur zwei Jahre Reiseverbot außerhalb des Landes. Ich erfahre auch, dass er achtzig Peitschenhiebe erhalten habe. Von den Schultern bis zu den Waden. Als er meinte, das täte weh und hinterließe Narben, traute ich mich nicht zu fragen, ob er nur die körperlichen Verletzungen meinte. Dieses Strafmaß wurde vor zwei Jahren vollzogen und ich mag gar nicht recherchieren, ob das inzwischen immer noch üblich ist. Saudi-Arabien ist ein Land voller Kontraste – geprägt von atemberaubender Natur, tief verwurzelten Traditionen und einem rasanten Wandel. Wer sich darauf einlässt, entdeckt mehr als Schlagzeilen über Menschenrechte und konservative Gesetze. Hier entfalten sich Geschichten von Fortschritt und Widerstand, von Innovation und Identitätssuche, von Möglichkeiten und Grenzen. Diese Entwicklungen zu beobachten, darüber zu schreiben und sie kritisch zu begleiten, ist nicht nur spannend, sondern notwendig. Denn nur durch einen differenzierten Blick lässt sich verstehen, was hier wirklich geschieht – und was noch kommen wird. ••• Weitere Fotos zum Museum und der Biennale auf meinem Instagram-Account:
Instagram NikaKairo Folgt mir für mehr!

Licht aus? Bildung an!

Licht aus? Bildung an!

Kairo: Nach nächtlichen Arbeiten an Rohren stehen Strom, Wasser und Internet still – eine Erinnerung daran, wie wichtig gezielte Bildungsinvestitionen sind. Bildung ist die Grundlage für Fortschritt und Erfolg. Initiativen zur Verbesserung der Ausbildung könnten entscheidend sein, um solche Herausforderungen zu bewältigen – sei es im Handwerk, in der Gesellschaft oder durch das Hinterfragen unwürdiger Traditionen. Gut ausgebildete Fachkräfte sind ein Schlüssel zur Entwicklung. Mit Programmen, die auf innovative Lehrmethoden setzen, lässt sich viel erreichen. Aktuell wird diskutiert, wie ein Schuldenerlass gegen Bildungsinvestitionen realisiert werden könnte. Veränderungen entstehen, wenn sie jemandem nutzen. Ist das die langersehnte Chance? Ich bin gespannt!

Kulturherbst in Kairo

Kulturherbst in Kairo

Zwischen Insta-Spots und Reflexion der Nahost-Situation Der Kulturherbst in Kairo vereint internationale und lokale Kunstprojekte, die die Stadt in einen Schauplatz für Kreativität verwandeln. Zwischen monumentalen Installationen und experimentellen Performances entsteht ein Spannungsfeld aus Tradition, Moderne und gesellschaftlicher Reflexion. „Forever is Now" ermöglicht Kunst im Schatten der Pyramiden „Ein bisschen Kunst zum drüber streuen“ ist eine der Reaktionen auf die Ausstellung „Forever is Now Edition IV“. Art D’Égypte wurde von der französisch-ägyptischen Kuratorin Nadine Abdel Ghaffar gegründet. Mit „Forever is Now“ hat sie sich zum Ziel gesetzt, die Pyramiden von Gizeh als Schauplatz für moderne Kunst von ägyptischen und internationalen Künstlern zu nutzen. In der Beschreibung zur inzwischen vierten Edition heißt es unter anderem: „ Die Ausstellung reflektiert, wie Vergangenheit und Gegenwart, Tradition und Innovation miteinander verknüpft sind, und zeigt, dass Kunst als Werkzeug dient, um die menschliche Suche nach Bedeutung, Hoffnung und Identität zu ergründen. Sie schafft interaktive Räume, in denen das Publikum aktiv in den kreativen Prozess eingebunden wird, und legt gleichzeitig Wert auf interkulturellen Austausch und gesellschaftliche Teilhabe.“ Doch vor Ort entsteht ein anderes Bild. Wer die zwölf Exponate auf dem Gizeh-Plateau besucht, spürt wahrscheinlich die Magie des Weltkulturerbes. Vom Plateau aus betrachtet tauchen die November-Wolken die Pyramiden immer wieder in ein neues Licht. Der angestrebte Dialog zwischen Kunst und den Pyramiden gestaltet sich derart, dass die Pyramiden von den Exponaten eingerahmt werden oder als Kulisse dienen. Schulkinder springen zwischen den Objekten herum, und es werden tausende von Fotos und Selfies gemacht. Von menschlicher Suche nach Sinnstiftung ist nicht viel zu merken. Diskutiert wird von einigen Influencern, die sich effektiv in weißer Kleidung präsentieren, ob das TikTok-Video jetzt 15 Sekunden lang sein soll und wann der beste Zeitpunkt für den Post sei.  Padma/Lotus von Shilo Shiv Suleman Bei einigen Exponaten drängt sich der Eindruck auf, dieses oder so etwas Ähnliches schon mal gesehen zu haben. Ein echter Wow-Effekt bleibt bei den ewig gleichen Themen rund um Nil-Boote, Objekte in Pyramidenform oder Flügeln zur Freiheit irgendwie aus. Neu ist „Four Temples“ des koreanischen Künstlers Ik-Joong Kang. Vier überdimensionierte, begehbare Würfel in unterschiedlichen Größen bestehen aus kleinen, frei hängenden Platten, die sich sanft im Wind bewegen. Die Außenwände sind mit dem koreanischen Volkslied „Arirang“ in Hangeul, Englisch, Arabisch und Hieroglyphen beschriftet, ein Symbol für die Verbindung von Kulturen und Epochen. Die Innenwände bestehen aus Zeichnungen von Menschen weltweit, insbesondere von Kindern und sozial Benachteiligten, die persönliche Träume und Herausforderungen darstellen. Dass es im Sand noch Friedenssymbole zum Ausgraben gegeben hätte, erschließt sich den meisten Besuchern nicht.  Neugierig macht auch „The Race“ des Ägypters Khaled Zaki. „The Race“ zeigt zwei Pferde, die zwischen sechs großen, verstreuten Rädern durch den Sand einer Ausgrabungsstätte rennen. Die Räder, die an antike ägyptische Streitwagen erinnern, sind aus Edelstahl gefertigt und symbolisieren den Wandel von Macht und Technologie. Das Kunstwerk thematisiert den Übergang von historischen Werkzeugen und Transportmitteln zu modernen technologischen Errungenschaften. Es will den Betrachter dazu einladen, über den Einfluss der Menschheit auf Fortschritt und Wissenschaft nachzudenken, während Technologie immer mehr zu einem eigenständigen Akteur im Lauf der Geschichte wird. Die Verfremdung der in der Sonne glänzenden Edelstahl-Pferde wirft tatsächlich Fragen auf. Sind es überhaupt Pferde? Die im Wüstensand versunkenen Räder könnten auch Uhren symbolisieren und wiederum auf den Wandel der Zeit hindeuten. Ein Kunstwerk, dass den Dialog mit den Pyramiden jedoch entbehren könnte.  CIAD eröffnet Downtown den Treffpunkt der Kulturen I See von Federica di Carlo Während „Forever is Now" vor allem durch die monumentale Kulisse der Pyramiden beeindruckt, widmet sich CIAD einem anderen Teil der Stadt – dem kosmopolitischen Erbe von Downtown Kairo. Das Cairo International Art District (CIAD) ehrt Downtown Kairo als ein historisches und kosmopolitisches Zentrum, das sich vom Marktplatz am Nil zu einem kulturellen Hotspot entwickelt hat. Der Stadtteil ist ein Treffpunkt für Menschen und Einflüsse aus aller Welt, die Architektur, Handel und Kultur entscheidend geprägt haben. Es ist ein Symbol für Vielfalt, Innovation und den internationalen Austausch. Auch die CIAD wird von Art d'Egypt organisiert. Doch die dazugehörige Ausstellung bietet nicht nur Miniaturen der zukünftigen Forever-is-Now-Exponate als Vorgeschmack. Kern der jährlich wiederkehrenden Kunstreihe sind blanke Gipsskulpturen als Rohlinge, wie ägyptische Katzen oder der Horus, die von verschiedenen Künstlern gestaltet werden.  In diesem Jahr stand der Skarabäus im Mittelpunkt – ein Symbol für Wiedergeburt und Schutz. Die gestalteten Werke wurden im Radio Cinema, Kairos ältestem Theater, hängend auf einer großen runden Plattform präsentiert, passend zum Thema Kreis und Wiedergeburt. Die runde Form erinnerte dabei auch an die kleinen Mistkugeln, die der Skarabäus rollt. Eine Kunstlehrerin äußerte jedoch Kritik an der Qualität der künstlerischen Ausführungen: Ihrer Meinung nach hätten ihre Schülerinnen ähnliches durch einfaches Bemalen oder Bekleben umsetzen können. D-CAF ermöglicht moderne Kunst als Raum für Austausch und Hoffnung „Forever is Now" und CIAD von Art d'Egypt sind nicht die einzigen Events, die kulturelle Räume in Kairo neu definieren. Als Höhepunkt des Kulturherbstes stand das D-CAF im Zentrum – das Downtown Contemporary Art Festival, das durch die Vielfalt seiner Darbietungen hervorsticht. Das D-CAF ist das größte internationale Festival für zeitgenössische Kunst in der arabischen Welt. Es präsentiert jedes Jahr in der Kairoer Innenstadt ein vielfältiges Programm aus darstellender Kunst, visueller Kunst, Musik und neuen Medien, das internationale und lokale Künstler zusammenbringt.  Künstlerischer Leiter Ahmed El Attar betont, dass das Festival inmitten wirtschaftlicher, sozialer und politischer Herausforderungen ein Zeichen der Hoffnung setzt, indem es kulturellen Austausch und die Förderung junger Talente ins Zentrum stellt. Es verbindet internationale Innovation mit lokaler Perspektive und schafft Raum für Reflexion und Zusammenarbeit, selbst in bewegten Zeiten. Ein besonderer Schwerpunkt des D-CAF liegt auf dem Programm „Cairo Calling“, das aufstrebende Künstler aus der arabischen Region fördert. Es bietet ihnen durch Residenzen, Workshops und Präsentationen eine Plattform, um ihre Arbeiten vor einem internationalen Publikum zu präsentieren und sich mit anderen Kulturschaffenden auszutauschen. Ein unvergessliches Highlight war „Taste Me" . Die Performance verband Tanz und kulinarische Kunst auf innovative Weise, um das Publikum emotional und sinnlich anzusprechen. Die Zuschauer wurden durch eine Bandbreite intensiver Emotionen geführt – von Freude und Wut über Trauer bis hin zu einem Moment, in dem das mühsam Gekochte erbrochen wurde. Begleitet wurde die Performance von Texten und Visuals auf einem Bildschirm, der in der Bühnenmitte des Rawabet Theaters positioniert war. Den Höhepunkt markierte die provokative Frage: „Und wie schmeckt eigentlich Hunger?“, die eine Reflexion über den Beginn der Aufführung und die universelle Bedeutung von Hunger einleitete. Jede D-CAF-Performance begann mit einer Schweigeminute im Gedenken an die Opfer in Palästina, Libanon und Sudan, wodurch die Thematik noch stärker verankert wurde. Nach der Performance gab Mohand Qader ein Interview, in dem er über die Entstehung und die Hintergründe des Stücks sprach. Die Performance, eine Zusammenarbeit von Qader und Moustafa Jimmy, kombiniert Tanz und kulinarische Kunst, inspiriert von ihrer gemeinsamen Zeit in einer Pariser Küche. Ziel war es, Geschmacksrichtungen mit Emotionen zu verknüpfen und die gesamte Bandbreite menschlicher Gefühle – von Liebe über Gewalt bis hin zu Trauer – auf die Bühne zu bringen. Qader, der aus Kafr asch-Schaich im Nildelta stammt, wurde von seiner Familie in seinem künstlerischen Werdegang unterstützt. Er fand über Theaterprogramme zum Tanz und entwickelte seinen Stil am Centre Rézodanse in Alexandria weiter. Internationale Anerkennung erlangte er durch die Zusammenarbeit mit dem französischen Choreografen Olivier Dubois in „Itmahrag“. Im Interview erklärte Qader, dass er „Taste Me“ als Mischung aus Kunst und Entertainment betrachtet. Emotionen seien der Schlüssel, um das Publikum zu erreichen und Fragen aufzuwerfen, wie die nach dem Hunger, die in der Performance zentral war. „Taste Me“ war eine gelungene Performance, Themen der Gegenwart emotional zu erleben und kritisch zu reflektieren. Josef Akiki in Transit Tripoli Weniger subtil ging „Transit Tripoli“ im Falaki Theater auf die Gesellschaft in Nahost ein. In der Performance interpretiert Caroline Hatem Anna Seghers‘ Roman „Transit“ neu und überträgt die Handlung in den heutigen syrischen und libanesischen Kontext von Flucht und Migration seit dem Arabischen Frühling. Wie in Frankreich im Jahr 1940 spielt das Stück im Libanon, wo Menschen verzweifelt auf Visa oder Fluchtmöglichkeiten warten. Der Erzähler, hervorragend interpretiert von Josef Akiki, wird zu einem syrischen Geflüchteten, dessen Weg das Publikum durch die Straßen und Cafés von Tripoli begleitet. Mit nur einem Schauspieler auf der Bühne, Live-Musik von Rabih Gebeile und Videoprojektionen, welche die Atmosphäre der Stadt am Meer einfangen, bringt „Transit Tripoli" Seghers‘ Werk in die Gegenwart und lädt dazu ein, über Freiheit und die Macht von Visa und Nationalitäten nachzudenken. Im anschließenden Artist Talk ist Caroline kritisch. Sie selbst kommt aus Beirut und erlebt den Nahost-Konflikt hautnah mit. Auf die Frage, ob Ihr Stück künstlerisch einen Einfluss auf den aktuellen Konflikt haben könne, beispielsweise durch das Schaffen von Bewusstsein, bleibt sie bescheiden. Dazu sei ihr Stück nicht groß genug. In der dann folgenden Diskussion ging es aber darum, ob es nicht gerade die kleinen Geschichten Einzelner sind, die langfristig in Erinnerung bleiben werden. Der Einwand, man müsse heute Instagram mit entsprechend Aufmerksam erregendem Content bedienen, wurde in diesem Zusammenhang zurückgewiesen. Durch Instagram flippen die Menschen durch. Erinnerungen an ein Theaterstück bleiben. Alleine schon deshalb, weil der Aufwand, in ein Theater zu gehen, wesentlich aufwendiger als das Scrollen in den Sozialen Medien ist. Cairo Jazz Festival bietet vertraute Klänge und neue Begegnungen Das Falaki-Theater, dem Spielort von „Transit Tripoli“, gehört zur Amerikanischen Universität Cairo (AUC). Das alte Gelände der AUC am berühmten Tahrir-Platz in Kairo ist inzwischen ein Kulturzentrum, die Vorlesungen sind auf den neuen Campus umgezogen. Ende Oktober, Anfang November war der AUC-Kultur-Campus die Heimat des Cairo Jazz Festivals. Während D-CAF sich vor allem der zeitgenössischen Kunst und Performance widmet, bringt das Cairo Jazz Festival eine andere Facette in den Kulturherbst ein: Musik als universelle Sprache, die sowohl vertraute Klänge als auch neue Begegnungen schafft. Das Festival leidet aber seit Jahren darunter, dass internationale Gäste vor allem danach ausgewählt werden, ob die Botschaft des Landes in Kairo bereit ist, den Auftritt zu sponsern. Für ägyptische Jazzer bietet das Festival eine der wenigen prominenten Auftrittsmöglichkeiten im Land. So standen auch die immerwährenden Namen Noha Fekry, Mina Nashat, Hany Shenouda und Massar Egbari, die Band des Festivalgründers Amro Salah, auf dem Programm. Altbewährt aber nicht wirklich überraschend. Ergänzt wurde das Programm in diesem Jahr aber durch Künstler aus Europa und Australien.  Otooto aus Dänemark stellten Songs ihres neues Albums „2nd Quake“ vor. Die Band kombiniert traditionelle Jazz-Elemente mit modernen Indie-Pop-Einflüssen und beschreibt ihren Stil als eine Mischung aus "Homeshake" und den "Jazz Messengers“. Tanzbare Beats, eingängige Melodien und improvisatorische Elemente sprechen auf unerfahrene Jazzfestival-Gänger an und sorgen für gute Laune.  Aus Deutschland waren die Jazzsängerin Laura Kipp und der Bassist Jens Loh vertreten. Sie gaben noch bis Anfang Dezember am Goetheinstitut Workshops für ägyptische Musiker. Mit Aly Eissa an der Oud und Mohamad Sawah an der Trompete und Ayman Mabrouk an den Percussions gab Laura die ersten Workshop-Ergebnisse auf dem Jazzfestival preis. Der Auftritt brachte westlichen Jazz und traditionelle ägyptische Klänge zusammen, was beim Publikum auf große Begeisterung stieß. Im zweiten Teil des Konzerts trat das ursprüngliche Laura-Kipp-Ensemble auf, bestehend aus Jens Loh am Bass, William Lecomte am Klavier und Eckhard Stromer am Schlagzeug, und präsentierte eine vielfältige Mischung aus Jazz, Pop, Soul und Chanson. Kulturelle Teilhabe in einer Stadt der Kontraste Der Kulturherbst zieht jährlich tausende Besucher an, das D-CAF ist beispielsweise stolz auf etwa 4.000 Besucher jährlich. Das mag ob einer Einwohnerzahl von etwa 20 Millionen in und um Kairo wenig erscheinen. Es darf aber nicht vergessen werden, dass sich Ägypten nicht nur in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage befindet, sondern auch das Bildungsniveau der staatlichen Schulen niedrig ist. Die 10-jährige Hausmeistertochter erzählt, dass Musik und Kunst keine Unterrichtsfächer seien. Das statistische Bundesamt weist für Ägypten eine Analphabetenrate von knapp 25 % aus. Es darf davon ausgegangen werden, dass, trotz Schulbesuch, die gleiche Rate dazugerechnet werden darf von Menschen, die nur rudimentär Lesen, Schreiben und Rechnen können. Während die Politik des Landes alles auf die Stabilisierung der Gesellschaft setzt, kommen Kunst und Musik als Möglichkeit zur Findung von Identität, Ausdruck von Emotionen, Spiegel der Gesellschaft und das Überschreiten von Grenzen viel zu kurz. Der Zugang zu kulturellen Veranstaltungen in Ägypten hängt nicht allein von Eintrittskosten ab, sondern von tieferliegenden Barrieren wie Bildungsstand, gesellschaftlichen Normen oder ethischen Vorstellungen. Selbst wenn physisch keine Tür verschlossen bleibt, gibt es unsichtbare Hürden, die Menschen von der Teilhabe an kulturellen Angeboten ausschließen – sei es durch mangelndes Wissen, soziale Ausgrenzung oder den fehlenden Bezug zur gezeigten Kunst. Der Kulturherbst bot vier Wochen lang unterschiedliche Angebote an Musik, Theater, Tanz und Ausstellungen Dennoch ist der Kulturherbst in Kairo ein wichtiger Bestandteil für die Gesellschaft. Es muss nicht immer die große Kunst sein, um über politische und gesellschaftliche Themen zu reflektieren. Entertainment wie die Forever-is-Now-Ausstellung ermutigt Menschen, die Pyramiden von Gizeh zu besuchen. Die entstehenden Bilder sind sicherlich diejenigen, die sich Ägypten als Selbstdarstellung vom Land wünscht. Es ist aber nicht auszuschließen, dass die Energie und die Faszination der Pyramiden die Menschen dennoch erreicht. Und internationale Künstler in Kairo zu haben, wirkt sich positiv auf das Leben in der Stadt aus. Auch dann, wenn nicht jeder moderne Tanz in seiner Tiefe verstanden wird. Braucht Kairo einen Kulturherbst? Obwohl die einzelnen Veranstaltungen unterschiedliche Schwerpunkte setzen – von monumentaler Kulisse über intime Performances bis hin zu musikalischen Experimenten – verbindet sie ein gemeinsames Ziel: Kunst und Austausch in einer dynamischen Stadt wie Kairo zu fördern. Der Kulturherbst in Kairo zeigt eindrucksvoll die Vielfalt und die Widersprüche einer Stadt, die zwischen Tradition und Moderne ihren Weg sucht. Veranstaltungen wie „Forever is Now“ bieten einer breiten Öffentlichkeit Entertainment und internationale Perspektiven, während D-CAF und CIAD Räume schaffen, in denen Reflexion und Austausch möglich werden. Kulturelle Teilhabe bleibt in einer Stadt voller Kontraste dennoch eine Herausforderung. Trotz unsichtbarer Hürden beweist der Kulturherbst jedoch, dass Kunst ein wichtiger Bestandteil gesellschaftlicher Dynamiken bleibt und für Kairo wichtig ist. Ein Raum, in dem Fragen gestellt und neue Perspektiven geschaffen werden, selbst in bewegten Zeiten.

Great Cola Taste - echt jetzt?

Great Cola Taste - echt jetzt?

Seit Gaza rufen viele weltweit, auch in Ägypten, zum Boykott von US-Produkten auf. Doch wer verzichtet schon gern auf Coffee-To-Go oder Cola? Produkte stehen für mehr als ihren Zweck – sie sind Lifestyle. Mit „Super Soda“ gibt es eine ägyptische Cola-Alternative. Doch weder die normale noch die Light-Version kommt geschmacklich an das Original heran, und beide sind koffeinfrei. „Warum dann Cola trinken?“, fragte eine Freundin. Sprudelwasser mit künstlichem Aroma und Vitamin B6 – mehr nicht. Ein Plus: Die Dose hat einen Deckel, der Sprudel hält länger. Doch ist das den Aufpreis von 5 Pfund wert? Ich bewahre ihn dennoch auf.

1001 Duft

1001 Duft

Süßer, orientalischer Duft. Ätherische Öle, feine Seifen. Die Essenzen Kairos habe ich mir betörend wie aus 1001 Nacht vorgestellt. Tatsächlich trifft man in Downtown Kairo an gefühlt jeder Ecke einen Parfüm-Kiosk, vor dem junge Männer herumstehen und jedem ein Duftpapier unter die Nase halten: „Buy One get One free". Tatsächlich sind die Shops mit unzähligen Glasflaschen gefüllt. Es wird probiert und getestet, dazwischen an Kaffeebohnen geschnuppert. Doch spätestens, wenn die Düfte mit bekannten Designernamen angepriesen werden, wird klar - das hier sind lediglich synthetische Kopien namhafter Duftmarken. Original Fake oder Fake Fake? Egal - das erhoffte sinnliche Erlebnis ist dahin.

Artist Talk mit Caroline Hatem

Artist Talk mit Caroline Hatem

Transit Tripoli | D-CAF24. Caroline Hatem adaptierte Anna Seghers' Novelle „Transit“ auf die Situation im Libanon nach dem Arabischen Frühling. Im anschließenden Artist Talk sagte sie, ihr Stück sei nicht bedeutend genug, um auf die heutige Situation in Nahost Einfluss zu nehmen. Ich widerspreche ihr. Die persönlichen Geschichten jedes Einzelnen schaffen Bewusstsein, wecken Emotionen und fördern Mitgefühl. Geschichtsbücher können geändert werden, Erfahrungen nicht. Sie erwidert: „Aber Instagram müsse heutzutage bedient werden." Doch auf Instagram scrollen die Menschen schnell weiter, wenig bleibt in Erinnerung. Das Tagebuch der Anne Frank aber hat bewiesen, wie selbst ein Kind der Geschichte Bedeutung verleihen kann.

Of all the people in all the world

Of all the people in all the world

Auf dem Weg zum neuen Supermarkt kommt man Downtown in Kairo am Rawabet-Theater und Warehouse vorbei. In der ehemaligen Garage laufen die Vorbereitungen für die neue D-CAF-Ausstellung. Überall große und kleine Reishaufen auf dem Boden. Ich husche in die Halle und bin neugierig. Jedes Reiskorn symbolisiert eine Person – 16 Körner wiegen ein Gramm. Die Welt in Zahlen visualisiert. Einwohner, Berufe, Geburten, Todesfälle, Sozialstrukturen werden sichtbar und in Relation gesetzt: Gaza ist Thema. Aber auch Hochzeiten in Ägypten neben sieben plus ein Korn für Elizabeth Taylor, Cleopatra zwei. Fasziniert schmunzelnd setze ich meinen Weg fort. Gibt’s noch Reis im Supermarkt?

Taste Me - Bittersüße Verführung

Taste Me - Bittersüße Verführung

„Hier, probier das". Ich betrete an dem Abend als eine der Ersten das Rawabet-Theater in Downtown Kairo und werde aufgefordert, vom Brot, Olivenöl und Thymian (arabisch: "زعتر" ausgesprochen: zaʿtar) zu nehmen. Es duftet und schmeckt wunderbar. Ich suche mir einen Platz und gehe dabei an einer Küchenzeile vorbei, an der bereits geschnippelt wird. Ich lächle den beiden Köchen zu und setze mich. Wie ich später erfahre, neben die Ehefrau einer der Tänzer. Ich hatte eine leise Vorahnung, dass es ein wunderbarer Abend werden könne. Auf das D-CAF (Downtown Contemporary Art Festival) in Kairo zu gehen, ist einer der wenigen Momente, in denen sich Kairo wie Zuhause anfühlt. Ich kenne das Festival inzwischen seit 10 Jahren und bin seit einigen Jahren auch als Journalistin dabei. Unter anderem habe ich in meinem #freitags Magazin im Artikel „ Krise Krieg Kultur " über das D-CAF 2023 berichtet. Das Downtown Contemporary Arts Festival (D-CAF) ist ein multidisziplinäres Kunstfestival, das jährlich in Kairo, Ägypten, stattfindet. Es präsentiert eine Vielzahl von Kunstformen, darunter Theater, Tanz, Musik, Film und virtuelle Kunst von internationalen Künstlern. Seit dem letzten Jahr gibt es aber auch einen Schwerpunkt auf Künstler aus dem arabischen Raum, was mir besonders gut gefällt. Vor allem ob der aktuellen Situation in Nahost. Das Festival hat zum Ziel, zeitgenössische Kunst in den urbanen Raum von Kairo zu bringen und ein breites Publikum anzusprechen. Inzwischen verzeichnet das Festival etwa 4.000 Besucher. In einer 20-Millionen-Stadt mag das wenig erscheinen. Doch das D-CAF in Kairo ist kein Ort für oberflächliche Instagram-Motive, sondern ein inzwischen bedeutendes Forum für zeitgenössische Kunst, das tiefgründige Inhalte über bloße Unterhaltung stellt. Es bietet Künstlern eine Plattform, um aktuelle gesellschaftliche und politische Themen zu reflektieren, einschließlich der Situation im Nahen Osten. Ein herausragendes Beispiel hierfür war die Performance „Cosmos" der palästinensischen Künstlerin Ashtar Muallem auf dem D-CAF 2023 In diesem Stück setzt sich Muallem mit ihren eigenen Glaubensvorstellungen und ihrer Beziehung zu Religion und Mystik auseinander. „Cosmos" - so die Beschreibung - spielt mit Widersprüchen, indem es das Heilige und das Profane, das Mystische und das Meditative auf eine zarte, berührende und humorvolle Weise kombiniert. Für uns bedeutete die Begegnung auf dem D-CAF eine erste Konfrontation mit Gedanken und Gefühlen aus Palästina. Kurz nach dem 7. Oktober 2023 hat sich die Perspektive und die Art, wie ich auf die komplexe Situation in Nahost schaue, geändert. Was wusste ich außer den Schlagzeilen von Menschen aus Palästina? Diese Aufführung machte sehr deutlich, wie D-CAF Künstlern Raum bietet, um komplexe Themen zu erkunden und das Publikum zum Nachdenken anzuregen, anstatt lediglich oberflächliche Unterhaltung zu bieten. Die fünf Geschmacksrichtungen sind süß, sauer, salzig, bitter und umami Entsprechend hohe Erwartungen hatte ich an „Taste Me", eine interaktive Tanzperformance der ägyptischen Künstler Mohand Qader und Moustafa Jimmy. Diese beiden waren auch die Köche, die bereits seit Einlass des Publikums fleißig in der Küche auf der Bühne werkelten. Denn in „Taste Me" schlüpfen Qader und Jimmy in die Rollen von Tänzern und Köchen, die das Publikum auf eine sinnliche Reise durch die fünf Geschmacksrichtungen mitnehmen: süß, salzig, sauer, bitter und umami. Durch Tanz und kulinarische Elemente laden sie die Zuschauer ein, verschiedene Geschmäcker und damit verbundene Emotionen zu erleben, wobei persönliche und kollektive Erinnerungen im Vordergrund stehen. Jede Geschmacksrichtung wird durch spezifische Tanzsequenzen und kulinarische Kostproben dargestellt, die das Publikum aktiv in das Erlebnis einbeziehen. Wer auf seinem Stuhl einen Aufkleber fand, der durfte zum Thema „Freude" auf die Bühne und den frisch gebratenen Fisch probieren. Wir anderen konnten uns an dem Duft des Fisches sowie an einem fröhlichen Tanz zu Mahraganat, populärer Musik auf Basis der Shaabi-Musik Ägyptens, freuen. Ich war begeistert, dass ich nicht nur sehen und fühlen durfte an dem Abend, sondern auch schmecken und riechen. Später gab es auch noch Schokolade zum Probieren. Diese Herangehensweise ermöglicht es den Zuschauern, ihre eigenen Geschichten und Emotionen durch die universelle Sprache der Sinne zu reflektieren. „Taste Me" ist ein Beispiel für die innovative Verschmelzung von Tanz und kulinarischer Kunst, die darauf abzielt, das Publikum auf mehreren Ebenen anzusprechen und eine tiefere Verbindung zwischen Künstlern und Zuschauern herzustellen. Wie wurden durch alle Emotionen geführt - vom fröhlichen Tanz über Gewalt, Wut, Trauer bis hin zum Erbrechen des mühsam Gekochten. Parallel dazu gab es Texte oder Visuals auf einem kleinen Bildschirm in der Mitte der Bühne. In die Realität wurden wir wieder zurückgeholt, als dort die Frage erschien: „Und wie schmeckt eigentlich Hunger?". Damit schloss sich der Kreis zum Beginn der Performance. Jede Aufführung des D-CAFs beginnt mit einer Schweigeminute in Erinnerung an die Opfer in Palästina, Libanon und Sudan. Bei der Frage nach dem Hunger musste ich dann schon tief Luft holen, erinnerte mich aber daran, dass Muslime diese Frage ja im Ramadan eigentlich beantworten könnten. Ich wurde auf Mohand Qader aufmerksam Wenn ich mir überlege, welche D-CAF-Performances ich besuchen und dann darüber berichten möchte, dann muss mich irgendetwas dazu ansprechen. Ich mag Contemporary Dance und Virtual Reality grundsätzlich sehr gerne und bin auch empfänglich für alle Künstler, die aus dem arabischen Raum kommen. In diesem Jahr vor allem auch aus dem Libanon. Auf „Taste Me" wurde ich aufmerksam, weil Mohand Qader mit Olivier Dubois gearbeitet hatte. Das Interview mit Olivier Dubois war Grundlage einer meiner besten Artikel: „ Die Einsamkeit eines Königs ". Mohand Qader war Teil des Workshops „Itmahrag" und lernte Dubois dabei in einer künstlerischen und menschlichen Begegnung kennen, die von großer Kreativität geprägt war. Olivier Dubois, der seit vielen Jahre in Paris und Kairo abwechselnd lebt, brachte mit „Itmahrag“ im Jahr 2021 zum ersten Mal seine einzigartige Sicht auf das heutige Ägypten zum Ausdruck. Das Stück lädt dazu ein, in das Herz eines Tanzes einzutauchen, den Dubois als „entzündend“ beschreibt – ein Tanz des Feuers, das das Blut zum Kochen bringt, Angst macht, oft brennt, aber immer wärmt. Inspiriert von Mahraganat greift „Itmahrag“ die Lebensfreude und Energie der ägyptischen Jugend auf. Mahraganat ist die ägyptische Straßenmusik voller Slang und improvisierter Rhythmen, die überall zu hören ist – in Taxis, bei Straßenhändlern, auf Hochzeiten und Partys, egal ob chic oder bodenständig. In Zusammenarbeit mit B’sarya for Arts in Alexandria und dem Ezzat Ezzat Contemporary Dance Studio in Kairo führte Dubois dreimonatige Tanz- und Musikworkshops für junge ägyptische Künstler durch. Mohand Qader war Teil davon und lernte dort auch Moustafa Jimmy kennen. Ich hatte das Glück, im Anschluss an die Performance mit Mohand Qader ein Interview zu führen zu dürfen Mit ihm traf ich einen jungen Mann, noch keine 30, mit sehr feinen Gesichtszügen und einem entwaffnenden Lächeln. Auf den ersten Blick wirkt er zart, doch als Tänzer strahlt er eine bemerkenswerte Kraft aus, die seiner Erscheinung eine faszinierende Ausstrahlung verleiht. Wir begannen unser Gespräch mit der Idee hinter dem Stück. Sowohl Mohand als auch Moustafa leben mittlerweile nicht mehr in Ägypten. Mohand lebt in der Nähe von Paris, Moustafa inzwischen in Berlin. Sie arbeiteten aber in Paris gemeinsam in einer Küche, quasi als Day-Job. So entstand die Inspiration, Geschmacksrichtungen mit Emotionen zu verknüpfen und auf die Bühne zu bringen. Alle Emotionen des Lebens sollten in ihrem Stück zum Ausdruck kommen – von Liebe über Gewalt bis hin zu Trauer. Ich gebe ihm das Feedback, dass ihnen das aus meiner Sicht wirklich gelungen sei. Durch die Interaktion mit dem Publikum ist jedoch jede Aufführung anders. Die Premiere war etwas voller als die zweite Vorstellung, doch letztere fühlte sich intensiver an. Und immer wieder passiert Unvorhergesehenes: So fing in unserer Vorstellung plötzlich der Inhalt des Mülleimers in der Küche Feuer. Eine Zuschauerin reagierte schnell und löschte den entstehenden Brand. Mohand schmunzelte und meinte, er hätte ihr gern eine kleine kulinarische Belohnung zukommen lassen, konnte sich aber mitten in der Performance nicht mit Moustafa darüber verständigen. Mohand Qader ist ein autodidaktischer Performer. Er studierte ursprünglich Bildende Kunst an der Universität Alexandria und fand über Theaterprogramme zur Tanzkunst. Unter der Leitung von Lucien Arino am Centre Rézodanse entwickelte er seinen Stil weiter. 2018 trat er dem Kollektiv „Khalf40“ unter der Leitung von Mohamed Fouad bei. Schließlich entdeckte ihn der französische Choreograf Olivier Dubois, und Mohand wurde Teil von „Itmahrag“. Mohand stammt ursprünglich aus Kafr asch-Schaich im Nildelta. Ich frage ihn, ob es nicht ungewöhnlich sei, dass sich ein junger Mann aus dem Nildelta dem Tanz widmet. Doch er erzählt, dass seine Familie ihn dabei immer unterstützt habe. Einfach sei das Leben als Tänzer jedoch nicht – weder in Ägypten noch in Paris. Wir sprechen darüber, welche Erfahrungen er mit Olivier Dubois gemacht und wie er diese Zeit erlebt hat. Mona, meine Ansprechpartnerin für die Presse, meinte sogar, dass sie in Qaders Tanzstil ein wenig von Dubois’ Einfluss wiedererkenne. „Taste Me" - Kunst oder Entertainment? Zum Abschluss unseres Gesprächs stelle ich Mohand Qader eine Frage, die mir besonders am Herzen liegt. Mit Olivier Dubois hatte ich einst eine Diskussion über die Frage, ob sein Stück „Memories of a Lord“ Kunst oder Entertainment sei. Für Dubois war der Unterschied klar und er machte das auch sehr entschieden deutlich: Während Entertainment Emotionen weckt, wirft Kunst Fragen auf. Und Dubois macht Kunst. Und Mohand Qader? Wie steht er dazu? Ist „Taste Me" Kunst oder Entertainment? „Beides" war die Antwort. Er erklärt, dass das Interesse des Publikums zunächst geweckt werden müsse – schließlich nutzt die beste Kunst nichts, wenn sich die Zuschauer langweilen. Wenn das Publikum neugierig wird und sich auf die Emotionen einlässt, könne die Kunst fließen und kritische Fragen werden eingebracht. In „Taste Me“ sei die entscheidende Frage letztlich die nach dem Hunger gewesen – als Reflexion auf die Welt um uns herum. Das D-CAF in Kairo zeigt meines Erachtens, dass Kunst dort beginnt, wo Erwartungen durchbrochen werden. Mit Stücken wie „Taste Me“ entstehen Momente, die das Publikum herausfordern und gleichzeitig eine leise, aber intensive Verbindung zu Themen der Gegenwart herstellen – ohne dass es klare Antworten gibt, aber mit Raum, selbst zu spüren und zu reflektieren.

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